Ärztliche Selbstüberschätzung

„Sie sind ein schlechter Arzt“, sagte ich dem Hausarzt im Altersheim, der in Windeseile mir mein Schlafmedikament entziehen und mir was anderes verschreiben wollte. Wie arrogant muss ein Allgemeinpraktiker mit Schwerpunkt Geriatrie sein, dass er meine hochkomplexe Situation in 10 Minuten adäquat erfassen können will. Er hat nicht mit mir gesprochen, sondern hintenrum mit der Pflegeteamleiterin über mich. Dumm bin ich nicht.

In der CH sind die ÄrztInnen so gut geschützt, dass ich mir sowas bieten lassen muss, mich nicht wehren kann. Was ich allerdings konnte ist eine Notfallpraxis aufsuchen und die gab mir das von mir geforderte Medikament, weil meine Hausärztin in den Ferien weilte. Glück gehabt.

Weniger Glück hatte ich in der Begegnung mit fast allen Psychiatriekliniken meines Heimatskantons, die samt und sonders nicht berücksichtigen, dass ich eine Cerebrale Parese habe. Mein jetziger behandelnder Neuropsychiater sagt, dass ein Medikament, das ich über 8 Jahre verschrieben bekam, nicht gegen Depressionen wirkt. Auch ambulante PsychiaterInnen machen den gleichen Fehler wie die Kliniken.

Ich kann nicht auf die Schnelle wegstecken, dass mir damit 8 Jahre meines Lebens geraubt wurden, was ich seit wenigen Wochen weiss. Die Lebensqualität war grässlich und ist es bis heute geblieben, bis auf die relativ kurzen Zeitfenster in denen ich aktiv sein kann.

Also sitze ich auf meinem Stühlchen und überlege mir, wie ich mit einem solchen Verlust umgehen lernen könnte. Die Theorie beherrsche ich, dass ich die Vergangenheit nicht ändern kann. Meine Gefühle interessieren sich keinen Deut für solche Spitzfindigkeiten. Also rede ich mir gut zu: Es ist eine schwierige Aufgabe, nimm dir Zeit, vielleicht kannst du etwas weinen, wenn es dir zuviel wird, lenk dich ab, freu dich heute im Hier und Jetzt.

Geh zum Psychiater!

Sehr oft bzw. immer wenn Menschen mit meinem Leben überfordert sind, kommt diese Aufforderung, „Geh zum Psychiater“.

Mittlerweilen grinse ich innerlich und das hat folgende Gründe:

  • Ein Psychiater bietet eine bestimmte Dienstleistung an. Wer den Inhalt nicht kennt, kann sich selbst schlau machen.
  • Wer überfordert ist, braucht selbst einen Psychiater.
  • Danke der Nachfrage, ich bin umgeben von den fachspezifischen ÄrztInnen und nein, da fehlt es garantiert nicht, ausser den Kuhpfuschern, die sich selbst überschätzen und mich als Versuchskanninchen missbrauchen, die sind mir in Hülle und Fülle auf meinem Leidensweg begegnet.
  • Menschen mit Hirnverletzungen brauchen Neuropsychiater, in der CH eine seltene Dienstleistung.

Leidenswendend hier und heute ist die Arbeit von zwei kompetenteN SozialarbeiterInnen und einer gewieften Umzugsfirma, spezialisiert auf verwahrloste Wohnungen. Bei ihr kann ich die Dienstleistung der Frau für alles einkaufen.

Neuanfang

Lange habe ich nicht geschrieben. Dies bedeutet, dass ich gesundheitliche Schwierigkeiten habe.

Gegenwärtig ist bei mir alles neu: Die Wohnung, die Begleitung durch drei Fachpersonen, von denen zwei sehr geholfen haben, damit ich persönliche Assistenz (CH IV Fachbegriff) bekomme, endlich. Also ich muss in der CH nicht verdursten und verhungern,was ich in Teilen schon durchlitten habe, sprich mehrmals 10 kg Gewichtsverlust und Blasenentzündungen, ausgelöst durch Flüssigkeitsmangel, in einer verwahrlosten Wohnung, um das „Wohlfühlprogramm“ perfekt zu machen. Ich weiss, warum ich ganz laut geschrien habe.

Endlich wird meine Gesundheit zum Nennwert genommen. Da ich eigentlich überleben und leben will auf einem tolerierbaren Niveau, trotz all meiner Einschränkungen, bin ich sehr froh und freue mich.

Z. B. habe ich heute einen Reparaturauftrag aufgegeben und falls ich ausfallen sollte, wird er weiterbehandelt. Andere Beispiele von heute: Dentalhygienikerin morgen und neuer Standplatz für meinen Wohnwagen begonnen zu suchen. Unnötig zu erwähnen, dass diese Aufgaben über 1 1/2 Jahr liegen geblieben sind. Es gibt Menschen, die mir jeweils Geduld empfehlen. Nun ja, wenn mann bzw. frau normal funtionieren, haben sie keine Ahnung, wie oft und wie lange ich mit mir Geduld haben muss.

Neu habe ich eine Frau für alles, was nebst den üblichen Reinigungsarbeiten bedeutet, dass sie meine Augsbrauen pflegen kann und mir Ohrstecker in die Ohren steckt, für mich sagenhafter Luxus.

Heute habe ich einen Energiestand, den ich als normal bezeichne: Eine Aufgabe ins Auge fassen und erledigen. Wie lange habe ich darauf gewartet?! So ist es einfach zu leben. Schade, dass es höchstwahrscheinlich nicht so bleiben wird. Wegen dieser Erfahrung erlebe ich meine guten Zeiten desto intensiver.