Russische Mütter, hinschauen nicht wegschauen

Watson hat schwere Kost. Solche Artikel rutschen über die Tage online immer etwas runter. Heute habe ich ihn gelesen, mich gezwungen hinzuschauen, soweit der Westen an solche Nachrichten überhaupt kommt.

Es geht um die russische Sicht russischer Soldaten, die nicht via Kriegsgefangenschaft in der Ukraine an westliche Medien vermittelt werden, um berichten zu können, was sie als russische Soldaten erlebt haben.

Es berichtet genau ein Soldat, der andere ist gefallen, seine Mutter spricht von ihrer Sicht. Ihr Sohn war Gefangener wegen Drogendelikten, liess sich rekrutieren, weil er frei sein wollte. Seine Mutter war sehr besorgt, weil sie davor Angst hatte, dass ihr Sohn durch den Krieg zum Mörder werde.

Das ist die Sicht vermutlich der meisten Mütter, dass sie keine Kinder haben möchten, die zu MörderInnen wurden. Müttern leuchtet oft dieses Machgerangel um Land, was Männern, in diesem Fall Putin, so unendlich wichtig erscheint, nicht wirklich ein. Sie möchten gerne Kinder, die ihr Leben leben ohne Kriegsgräuel, ohne getötet zu werden oder, um zu überleben, selbst töten zu müssen.

Der zweite Russe hat überlebt, war mehrere Male verletzt, musste sofort wieder an die Front, erst die neunte Gehirnerschütterung reichte, dass er in der Pflege der Verwundeten eingesetzt wurde, bis seine Armeepflichtzeit abgelaufen war.

Die Kommentare unter dem Artikel drehen sich u.a. um die Frage, was Traumatisierung bedeutet, jmd. behauptet, alle seien „kaputt“, wenn sie von einer Kriegsfront zurück kämen.

Das kann in der Absolutheit nicht stimmen, sonst hätte die Menschheit nicht bis heute überlebt. Wer im Krieg ist oder war, der bzw. die haben immer noch die gleiche Aufgabe, den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie zu verdienen und sich in einen zivilen Alltag mit zivilen Gesetzen einzureihen.

Das tut der überlebende Russe mit zwei Jobs, mit Frau und zwei Kindern.

Das „Kaputt“ hat zeitgleich seine Berechtigung: Neulich war in den Medien, dass sich täglich 18 USA Veteranen umbringen. Das stimmt auch, dass für nicht wenige das Kriegsgeschehen solchermassen zum Albtraum wird, dass sie den Krieg zwar überlebt haben, die Einsamkeit danach bringt sie um.

Es gibt praktisch nie „entweder-oder“, es gibt sämtliche Grautöne dazwischen auch. Alles sind es menschliche Erfahrungen, Leidensgeschichten, hinschauen, lernen, nicht bewerten, Menschen sind Menschen und jedes Leben möchte gelebt werden, nicht viel zu früh grausam beendet durch einen Krieg direkt oder später durch Kriegstraumatisierung.

Der Westen unterstützt die Ukraine, weil die Machtansprüche Putins gestoppt werden müssen. Man vergesse nie die Opfer beider Seiten. Es gibt gewiss Menschen wie Putin, die KriegsverbrecherInnen sind. Die meisten auch auf russischer Seite sind Opfer.

In dem Zusammenhang: Viele Wagnersöldner sollen völlig uninformiert gewesen sein, als sie bis 200 km vor Moskau vordrangen: Gehorsam, keine Fragen, wer überleben will, der fragt besser nicht. Sein Leben kann man überall verlieren.

Das habe ich mich immer gefragt, als ich Bücher über den WK II las: Ist es nicht viel zu einfach, hinterher zu kritisieren, unterere Ränge hätten sich gegen die Befehle von oben wehren sollen? Wer das tut, egal ob bei den Wagnersöldnern bzw. der russischen Armee, der wird umgebracht.

In der Schweiz, in Friedenszeiten, kann ein Mann den Militärdienst verweigern, aber sicher nicht auf irgendeinem Schlachtfeld eines autoritären Regimes.