Was ist alkoholkrank?

Ich war ein Leben lang in der Position des Angehörigen von diversen Suchtkrankheiten.

Gestern jemand, der einfach zu viele Anzeichen von Suchtdenken zeigt, dem ich gemailt habe, dass sein Denken jenseits von normalem Denken ist, fühlt sich brüskiert. Nun, wenn er sich sicher wäre, dass er kein Problem hätte, dann hätte ihn meine Aussage nicht getroffen.

Alkoholkrankheit misst sich nicht an einer Alkoholfahne, sondern es ist eine Denkart, die sich sprachlich manifestiert. Suchtdenken bläht die eigene Person maximal auf, man ist der Beste und kritisiert alle drum rum.

Die Wahrnehmung der eigenen beruflichen Leistung ist nicht mehr korrekt. Es kommen Geschichten, dass man die ganze berufliche Arbeitslast trägt, „unersetzbar“ ist.

In dem Fall wurde geblufft mit Trinkfestigkeit. Wer wie ein Schluchtspecht immer noch gerade laufen kann, der muss sich diese Trinkfestigkeit erarbeitet haben.

Letztlich ist es die Frage, ob ein Mensch ein Glas ergreift oder das Glas ihn.

Völlig unbeantwortet ist die Frage der eigenen Gesundheit, die belastbar sein kann und es passiert nichts bis ins hohe Alter. Solche Menschen gibt es, aber es gibt auch die andern. Al-Anon lehrt, dass in der Regel die Leber zuerst kaputt geht, reine Statistik.

Es kann zuerst das Gehirn versagen, irgendwo im Gehirn. Ich kenne einen Fall, der landete zwischen 30 und 40 Jahren im Rollstuhl, wegen Alkohol und einen andern Fall habe ich hautnah miterlebt und ich hätte als Al-Anon geschworen, dass der Mensch alkoholkrank ist, aber seine Sucht so beherrscht, dass er an irgendwas sterben wird, nicht an Alkohol.

Ein dreitägiges alkoholisches Blackout dieser Person hat mich eines besseren belehrt. Es hat in dem Fall nicht die Leber versagt, sondern das Gehirn.

Nun guckt die Gesellschaft in der Schweiz weg. Alle denken sich ihre Sache, denken korrekt, dass es nicht ihr eigenes Problem ist, bis die Gesellschaft reagiert, ist es in der Regel viel zu spät und dann reagiert sie mit Verachtung, was nicht hilfreich ist, weil es handelt sich um eine Suchterkrankung.

Gestern war ich mit ÖV in der Stadt, fuhr damit in mein Quartier. Ein Mann erzählte sich ganz laut im Bus Geschichten, wie es Alkoholkranke zu tun pflegen, alle andern schauten weg, schwiegen, was in der Deutschschweiz Normalität ist. Wenn alle so tun, als handle es sich um Normalität, fühlt sich der Suchtkranke in seiner Normalität bestätigt und denkt, er habe alles im Griff.

Sehr oft, beklagen sich die Angehörigen wesentlich früher als der Suchtkranke selbst. Um eine Familie am Laufen zu halten, erhöht sich die Arbeitslast der Angehörigen laufend. Alles wird auf ihre Schultern gepackt, sie sind eindeutig überlastet und beginnen sich zu beklagen, man hört es am Tonfall.

Der Suchtkranke ist in der Phase fröhlich, gut gelaunt, der beste Kumpel, der allen eine Runde bezahlt und der ganze Stammtisch ist sich einig, zuhause sitzt bei dem armen Kerl ein Räff.

Oft zeigen die Reaktionen der Angehörigen viel früher an als die der Suchtkranken, dass in der Familie ein Suchtproblem besteht. Vom wäffelnden Angehörigen zum Angehörigen, der durch Taten den Alkoholkranken mit seinem Versagen konfrontiert, also liebevoll nicht mehr die Folgen der Suchterkrankung vertuscht, das ist eine Menge Arbeit an sich selbst.

Eine kleine Broschüre von Al-Anon heisst sehr treffend „Das Karusell des Leugnens“. Suchterkrankung wird viel zu lange verleugnet, niemand, auch die Angehörigen nicht, wollen zur Kenntnis nehmen, dass sie eine Suchterkrankung im engsten Umfeld haben, sie helfen vertuschen und irgendwann wäffeln sie und das ist nicht hilfreich.

Es ist ein Teufelskreis und die gesellschaftliche Einstellung, Suchtkranke zu verteufeln, wenn es oft schon zu spät ist und Angehörige allein zu lassen, wenn sie zu Recht unter ihrer Arbeitslast zusammen zu brechen beginnen, all diese Reaktionen treiben das Karussell des Leugnens trefflich an.

SRF zeigt bis auf den heutigen Tag Dokfilme mit den schlimmsten Lebensgeschichten von Frauen und stellt sie als Opfer dar, korrigiert nichts und lehrt z.B. ganz fest und eindrücklich, dass sich keine Frau je schlagen lassen muss. Wenn im Denken von allen Frauen in der Schweiz tief verankert wäre, dass, wenn sie geschlagen werden, was definitiv falsch ist und NICHT IHR EIGENER FEHLER, Femizide könnten teilweise verhindert werden, weil Frauen im Moment des ersten Geschlagen werdens wüssten, dass nun eine rote Linie überschritten ist, egal wie reumütig sich der Täter zeigt.

So kommt als Lehre rüber, dass Frauen immer und überall und wegen irgendwas in die Opferrolle kommen können und dann wird halt geschlagen. In dem Dokfilm war dann die nächste Beziehung, ein neuer Mann von Beruf Polizist, die „Lösung“.

Kein Mann ist je die Lösung. Die Lösung sind zunehmend bessere Gesetze, der gesetzliche Schutz von Frauen und Kindern und Frauen müssen über ihre bestehenden Rechte aufgrund der geltenden Gesetze informiert sein. Das ist eine rechtsstaatliche, korrekte Lösung.